Nach Rueckkehr aus dem Mosambik-Urlaub draengte es mich nach vier Tagen Lilongwe in die naechsten Ferien, diesmal auf dem Land. Mkangamira liegt in der Naehe von Lilongwe und hat ein Kindergartenprojekt, in dem ich “helfe”. Bevor ich kam waere ich erleichtert gewesen, wenn jemand meinen Besuch aus was fuer Gruenden auch immer abgeblasen haette. Dann waere ich eben in Lilongwe geblieben beim Internet und haette Ausfluege in die naehere Umgebung unternommen, wie nett! Ich hatte wirklich Angst, nicht unbedingt vor Schlangen oder Dunkelheit, aber vor sozialer Isolation, weil ich doch kein Chichewa kann. Zum Glueck hat niemand abgesagt und ich bin gefahren. Drei Wochen zu Gast bei Familie Benesi, die so unglaublich nett ist. Es ist schwierig, das Leben hier zu beschreiben, weil es so fremd und andererseits so vertraut ist. Die Kuehe sehen aus wie in Mecklenburg und die Menschen sind meistens gut gelaunt und manchmal auch nicht. Sorgen gibt’s hier auch, Herr Benesi sorgt sich z.B., weil die Kuh ein wehes Bein hat und weil sein aeltester Sohn dieses Jahr heiratet und weil er Ratten im Haus hat. Es gibt aber keinen Druck, vor allem keinen zeitlichen. Die Dinge, die zu erledigen sind, werden gemacht, heute oder eben morgen. Wenn die Kuh ausbricht, dann kann ich solange nicht aus dem Haus und komme zu spaet in den Kindergarten, dann ist das eben so, kein Grund zu rennen (zur Erklaerung: Die Kuh ist eine Milchkuh und muss im Gehege bleiben und fressen und sich ausruhen, daher war sie ueber ihren eigenen gelungenen Ausbruchversuch mehr als schockiert. Ich mag die Kuh.). Fragen, die mit Zahlen beantwortet werden muessen, stelle ich nicht mehr (Um wieviel Uhr treffen wir uns? – Morgen. Wieviel Grad wird es im Sommer? – Sehr warm. Wie lange muss das Fleisch kochen? – Bis es fertig ist.). Es passiert jeden Tag etwas, was das Fremde normal werden laesst und das Normale irgendwie entfremdet. Ich meine, wenn im Haus das Algerien-Spiel laeuft und draussen ein Huhn entkernt wird, dann denke ich natuerlich “Oh Mann, jetzt ist der Anthar vom Platz geflogen” und wundere mich aber viel mehr darueber, was Maria gerade genau mit dem Huhndarm anstellt. Und wenn die Entfremdung von mir selbst die Ausmasse annimmt, dass ich mich von oben betrachte, wird es richtig spannend: Ich laufe mit einer Schuessel Maiskoernern auf dem Schaedel durch ein afrikanisches Dorf, verliere dabei meinen Wickelrock (man kan sich ja nur entweder auf Koerper/oben oder Koerper/unten konzentrieren), alle Zuschauer lachen sich tot und keiner denkt an Bruce Darnell, ausser mir. Es ist nicht so, dass ich mir im Minutentakt sage “Wahoo, wie crazy ist das denn?”, weil die schoenen Dinge immer still sind. Es gibt keinen Strom, deswegen sind die Sterne heller. Es gibt keinen Stall, deswegen sitzt das Huhn abends immer neben mir an der Feuerstelle und waermt seine Huehnchen. Es gibt kein fliessendes Wasser, deswegen macht Baden mehr Spass. Manchmal stelle ich mir vor, wie ein Dorfbewohner von Mkangamira zu Austauschzwecken nach, sagen wir mal, Koelln bei Altentreptow bei Neubrandenburg faehrt und bei Familie Schmidt wohnt. Wuerde er mit ekstatischen “ein Schwarzer, ein Schwarzer”-Rufen empfangen werden? Wuerden sie ihre Saeuglinge – ok, schlechtes Beispiel, da gibt’s ja momentan nur einen, sagen wir Kinder – zu ihm bringen, damit sie mal einen Schwarzen anfassen koennen? Wuerden sie ihm staendig ihre Hilfe anbieten? (“You don’t have to be scared, I will be helping you.” – “Aeh, senk ju.”) Wuerden sie ihm einen Eimer Erdnuesse als Geschenk bringen? Schon klar, Mecklenburger sind keine Malawier.
Wie, und von Armut sprechen wir gar nicht? Langatmiges Thema, definieren Sie Armut, weniger als einen US Dollar / Tage zur Verfuegung. Total unpassender Richtwert, hier wird zum Grossteil angebaut und nicht eingekauft. Es wird munter Nsima gefuttert, der garantiert vitamin-, mineralstoff- und spurenelementfreie Maisbrei, der satt macht und sonst nix. Wer mehr als nur Mais anbaut, wie Familie Benesi, kann sich besser ernaehren, aber das ist eine individuelle Entscheidung, hier waechst ja so gut wie alles. Statt Strom aus der Wand gibt es Autobatterien und auch sonst jede Menge Batterien, den Entsorgungsaspekt lassen wir mal beiseite, das Wasser kommt aus dem Brunnen (den Gedanken an die Batterieentsorgung bitte immer noch weit wegschieben). Einmal habe ich Diana von meinem Traum erzaehlt, dass mich jemand aus dem Dorf auf meinen exorbitanten Wasserverbrauch aufmerksam gemacht haette, das fand sie lustig, denn “you can have as much water as you want to, we don’t have water bills”. Kleidung, vor allem Kinderkleidung, ist wie ueberall ein Problem. Kaputt, dreckig, unzureichend, keine Produktion weit und breit. Das Argument, Kleiderspenden hinderten lokale Textilfirmen an ihrer Entstehung, kann ich in diesem Fall ueberhaupt nicht nachvollziehen, es ist naemlich gerade wirklich kalt von nachmittags bis vormittags, und manche Kinder fuehlen sich an wie tiefgefroren, vor allem die Fuesse. Liebe Kleiderspender, zwei Bitten:
- Maedchen tragen in Malawi Kleider. Da aber natuerlich mehr T-Shirts und Hosen gespendet werden, sehen die jungen Damen wirklich bis zur Unschicklichkeit geloechert aus. Kleider moegen unpraktisch sein, tut hier aber nix zur Sache. Uebrigens sind Kleider ohne Reissverschluesse besser, weil die immer kaputtgehen und dann muss schulterfrei getragen werden.
- Kein Mensch, auch kein sehr, sehr armer Afrikaner, hat es verdient, ein T-Shirt mit der Aufschrift “Nuechtern seh‘ ich furchtbar aus” zu tragen. Bei solchen Spenden bitte eine Uebersetzung beilegen, das ist das mindeste.
Es gibt Bildungsarmut (wenn, dann qualitativ schlecht), Informationsarmut (wenn, dann Radio), Mobilitaetsarmut (wenn, dann Fuesse), Innovationsarmut (wenn, dann von den Gebern finanziert), usw. Aber es schockiert nicht, weil die Menschen ihr Leben positiv bewerten. Herr Benesi sagt ja nicht, dass er gerne einen Ipod haette, sondern ein groesseres Haus, aber das geht dieses Jahr nicht, denn dieses Jahr wird der Sohn verheiratet. Es ist fuer Reiche sicher schwieriger zu sehen, wie Menschen einen besseren Lebensstandard erreichen wollen und in den Slums von Nairobi sichtbar und unwiderruflich scheitern, als in einem Dorf, das in seiner Grundzufriedenheit und seiner punktuellen Unzufriedenheit nicht weiter als bis morgen denkt. Ich glaube nicht an das Prinzip des gluecklichen Iditoten, ich habe aber auch keine Antworten, nur die Gewissheit, dass Mkangarima mir viel mehr geben als ich annehmen kann. Und immer dieselbe Frage: Wer ist jetzt reich?