Ich habe keine Ahnung von Kindererziehung, da sie bisher eine, vorsichtig gesagt, untergeordnete Rolle in meinem Leben gespielt hat. Ich habe nicht mal den Paedagogik-Grundkurs belegt und gehe nun trotzdem jeden Morgen voellig unqualifiziert in den Kindergarten. Man koennte jetzt argumentieren, dass ich ja schliesslich selber mal ein Kindergartenkind war, und das ist ja noch gar nicht so lange her (1984-1987, Generation Tschernobyl), ich habe also Felderfahrung. Hallo, ich war in einer Elterninitiative, die sind ja kein Massstab fuer Vorschulerziehung! Wir hatten nicht mal Gruppen, alle anderen Kinder in anderen Gaerten waren in der “blauen Gruppe” oder in der “Baerengruppe”, bei uns hiess alles Kinderstube und die betreuende Dame Fraeulein Boeckenkamp, was sich beides wiederum nach Haferschleim und Nationalhymne absingen anhoert, war es aber nicht. Soweit ich mich erinnere, hat das alles grossen Spass gemacht, Puppenecke und Zitronentee und Spiele, deren Finalitaet mir nicht mehr einfallen. Woran ich mich nicht erinnere, sind sinnloses Nachsprechen in einer fremden Sprache, malariakranke Kinder schlafend auf dem Boden und eine Ecke im Raum, wo man bitte “social dramatic play” ausueben sollte.
Ich gehe also vormittags in den Kindergarten von Mkangamira und habe das erste Mal seit Beginn der Reise einen echten Kulturschock, obwohl meine einzige Referenz, wie gesagt, sub jektiv und nostalgisch ist. Eigentlich ist auch alles in Butter: Die Kinder kommen freiwillig, werden nicht geschlagen und hauen im Regelfalle auch nicht ab. Der Garten hat Spielzeug, bunte Poster mit Verhaltensregeln drauf und zwei Tanten, die bescheid wissen. Die Kinder verhalten sich auch adaequat albern, streitsuechtig, neugierig oder wuetend. Aber sie spielen nicht. Sie koennen Zahlen, Wochentage, Farben und Monate auf Englisch (ohne natuerlich genau zu wissen, was sie da sagen) und lachen sich tot, wenn ich zwei Stofftiere miteinander sprechen lasse. Sie selber sprechen eher wenig, wissen aber genau, was im Falle des Kommandos “clean up!” zu tun ist. Draussen spielen heisst, im Gaensemarsch hinter einer Gaertnerin herzulaufen, die “Follow the Leader” singt.- Betty haette sich gefreut, das ist doch ihr absolutes Lieb-lings-lied. Ich bin eindeutig die einzige, die sich unwohl fuehlt in diesem Kreativitaetsgrab und nutzlos noch dazu, weil ich mich nicht faehig sehe, Kindern spielen beizubringen. Meine Hoffnung ist, dass sie es heimlich ausserhalb des Gartens machen, realistisch ist eher, dass Kinder hier Menschen sind, die man so schnell es geht grosskriegen muss, damit sie ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft werden und nicht nur Konsument, sondern auch Produzent werden. Kinder verbringen ihre ersten Lebensjahre, bzw. bis das naechste kommt, auf dem Ruecken ihrer Muetter und die zweiten in einer Hierarchie, die Erwachsene von Kindern trennt. Kinder lernen von anderen Kindern, das ist natuerlich riskant, weil die Reife des Lehrenden nicht vorher getestet wird. Und ja, auch afrikanische Kinder, die den ganzen Tag neben der Ueberlandstrecke spielen, rennen ohne zu gucken ueber die Strasse. So sehr mir die Vergoetterung des Nachwuchses in Europa mit allem Brimborium auf den Keks geht, so wenig kann ich mich mit dem Daskindalsmassenwareprinzip anfreunden. Kinder sind doch dazu da, dass man sie beneidet, weil sie immer das tun, was man sich selber nicht traut. Wenn ein Dreijaehriger sieben Stunden lang eingequetscht neben mir im Minibus hockt ohne ein einziges Wort zu sagen oder einmal auf’s Klo zu muessen, dann ist mir das unheimlich. Soll ich an seiner Stelle anfangen zu bruellen und um mich zu schlagen? Alles bleibt am Mzungu haengen.
P.S. Zwei Wochen spaeter: Sie spielen! Wenn man sie aus der Ferne in ihrem natuerlichen Lebensraum beobachtet, dann spielen sie! Auf die Erleichterung das naechste Drama: malen geht gar nicht, die malen nicht mal Kopffuessler, herrjeh!
P.P.S.: Kleines Quiz fuer die geneigten Leser: Wenn ein Kind eine Aufgabe richtig geloest hat, klatschen alle anderen und bruellen im Chor “Shuwala, shuwala, shuwa, well done boy/girl!”. Was das wohl heissen mag???
wieder mal ein großartiger artikel. sehr fein.
weiter viel freude beim (alleine) spielen 😉
…ein ganz schwieriges Thema, dat mit dene Children.
Da gibt es Gehirnlappen, die funktionieren nur in einer
Zeit, an die wir schon gar nicht mehr glauben.
Kinder leben im Jenseits und sie sterben dort auch.
Ein ganz anderer Film eben.
Gar nicht erst versuchen, das zu verstehen…
bonneroute@bises.com
Henning