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Archive for the ‘Indien’ Category

Om mani padme hum

Im Zuge seiner Ruecktrittsankuendigung von den politischen Aemtern bat mich der Dalai Lama um eine Audienz. Kein Ding, ich komme doch gerne und helfe, wo ich kann! Angekommen in Exil-Tibet (Dharamsala, Himachal Pradesh) musste ich jedoch feststellen, dass es sich um ein Missverstaendnis handelte: Er wollte gar nicht mit mir ueberlegen, wie er nicht der naechste Gaddafi werden koennte, sondern vielen Menschen ein bisschen was ueber der Buddhismus beibringen. Kann auch nicht schaden. Fuer die Teilnahme an so einer Veranstaltung muss man sich erstmal registrieren lassen, keine grosse Sache, allerdings pupste ein ukrainischer Kameramann so dermassen die Bude voll, dass der Registriermann erstmal draussen Luft schnappen musste. Gut, dass es keinen Geruchsblog gibt.

Neben der Eintrittskarte soll man ausserdem mitbringen ein Kissen, ein Radio und eine Tasse. Kissen ist klar. Im Tempel gibt es keine Stuehle, und Blasenentzuendung findet niemand gut. Findige Besucher haben ein Ritual etabliert, das man eigentlich nur von den All-Inclusive-Teutonen kennt, die Lakenreservierung. Im Tempel schmeisst man nicht sein Ikea-Handtuch auf die Liege, sondern ein mit seinem Namen versehenes Kissen auf den Boden, moeglichst an eine Stelle, von der man sich die beste Sicht und/oder den hoechsten Sitzkomfort verspricht. Wir wussten nichts von diesem Habitus und latschten morgens einfach sehr frueh mit Decke zum Tempel, fanden ein freies Eckchen und meditierten so vor uns hin, bis zwei Stunden spaeter eine Franzoesin zwischen zusammengepressten Lippen hervorzischte, dass sie diesen Platz bereits vor zwei Tagen reserviert habe. Schon ganz benebelt von der ganzen Spiritualitaet wollte ich selbstlos das Territorium raeumen, als sie sich ihrer Freundin zuwandte und sich mal kurz ungefiltert in Landessprache ueber uns ausliess, was mich in meinen Lotussitz zurueckplumpsen liess. Bisschen mehr buddhistische contenance, madame! Tatsaechlich hatte nach wenigen Stunden jeder einen Platz gefunden, und soweit ich es ueberblicken konnte, lief es ohne Traenen, Blutvergiessen und urinales Reviermarkieren ab. Kaum sitzen alle, stehen sie wieder auf fuer den Dalai Lama. Der sieht aus wie im Fernsehen und spricht das herzallerliebste asiatische Englisch, wo es nicht so sehr auf Verben oder Artikel ankommt. Ich hatte angenommen, dass ich vor Ehrfurcht erstarren wuerde, aber der Herr Lama ist einfach ein sehr netter aelterer Herr, dem viele Dinge im Leben Freude bereiten. Er findet es z.B. sehr lustig, dass ein Mensch auf einem Elefanten reiten kann, der Mensch ist ja viel kleiner als der Elefant, nur ein kleines bisschen schlauer: “People can ride elephant, man is sooo small, but soooo intelligent, sooooo intelligent!” Da lacht er sich tot und der ganze Tempel muss mitkichern. Da aber viele Tibeter gekommen sind, darf der Dalai Lama nicht die ganze Zeit Englisch reden, sondern tibetisch. Als Nichttibeter dreht man einfach das Miniradio auf die passende Frequenz und kriegt einen Uebersetzer auf die Ohren, der keinen leichten Job hat, weil der Dalai Lama anscheinend auch auf tibetisch gerne mal fragmentarisch spricht und ab und an auch mal einen Witz auf Englisch einschiebt, den der Uebersetzer dann automatisiert einfach ins Tibetische dolmetscht, was man selber aber nicht so schnell mitkriegt und dann ist auch schon wieder zu spaet. Egal, Dalai Lama freut sich. Zwischendrin wird nochmal Pause gemacht, kurzes Trinkgebet und dann schenken die Kochmoenche Tee aus. Supi, da haben wir doch schon stundenlang mit der Tasse in der Hand drauf gewartet! Problem is, is Buttertee. Einfach mal zu Hause nachmachen, Butter im Topf schmelzen lassen, Schuss Milch dazu und trinken. Koestlich!

Ansonsten waren wir als Anfaenger-Buddhisten mit der Thematik etwas ueberfordert, fanden es aber wirklich sehr nett, dass wir dabei sein durften. Ueberhaupt kann man jeden Tag in den Tempel gehen und den Moenchen zuhoeren, die unglaubliche Toene produzieren koennen. Oder DVDs ueber Tibet gucken, weil man sich mal wieder total uninformiert fuehlt. Oder ins Museum gehen. Oder in die Berge wandern. Oder Souvenirs kaufen. Oder sich auf das Ende vorbereiten.

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Endspurt

Von den Andamanen nach Kolkata fliegen kommt der Vertreibung aus dem Paradies gleich. Auch wenn ich nun einige grosse indische Staedte gesehen habe, war Kolkata hart. Es gibt diese Momente in Indien, wo die Grenzen des Ertraeglichen ueberschritten werden – und ich bin nicht zimperlich. Die Mischung aus Hitze, Gestank, verlogenen Taxifahrern, Lautstaerke, Uebermuedung machte mich so unglaublich duennhaeutig, dass ich diese Kinder nicht anschauen konnte. Ich kann das Gefuehl nicht beschreiben, vielleicht ist es die Erkenntnis, dass es tatsaechlich verlorene Seelen gibt.

Der Touristenquote der indischen Bahn sei Dank konnte ich der Hoelle am selben Abend nach Varanasi entfliehen. Varanasi, die heilige Stadt der Hindus, das klingt doch nach Erloesung. Wenn also ein verstorbener Hindu zwischen Fluessen Varuna und Assi am Ganges verbrannt wird, ist das eine gute Sache, weil dann die Seele auf eine hoehere Ebene als ueblich kommt (kompliziert, man kommt zwar nicht gleich in den Himmel, aber sozusagen kurz davor). Das finden nun auch viele Touristen spannend, und die Geschaeftemacher in Varanasi beherrschen virtuos das Spiel der spirituellen Erpressung. Ist man nicht gewillt, den angeblich ueblichen Preis fuer Dientsleistung xy zu zahlen, wird man darauf hingewiesen, dass das nun aber ganz schlecht fuer das eigene Karma sei. Erstaunlicherweise funktioniert die Erzeugung von Unwohlsein sogar, obwohl ich gar nicht genau weiss, was ein schlechtes Karma genau fuer Konsequenzen fuer mich haben kann. Ein Mann (Funktion ungewiss) wies mich darauf hin, einer Omi Geld zu geben, damit sie sich zu gegebener Zeit auch genug Holz fuer ihren Scheiterhaufen kaufen kann, und war dann mit meinem gespendeten Geldbetrag nicht einverstanden (also, nicht die Omi war unzufrieden, sondern ihr… sagen wir Sohn). Er wuenschte mir schlechtes Karma. Ich wuenschte ihm eine Wiedergeburt als Schalke-Fan. Waehrend all dieser Spiraenzchen steht man vor den brennenden Leichen, und da ich in meinem Leben noch keine Kremation live gesehen hatte, war ich wirklich mehr als beeindruckt. Zum Glueck hatten wir jemanden zur Seite, der den anfaenglichen Ekel mit seinen Erklaerungen mindern konnte. Ich meine, man SIEHT, wie die Leichen brennen, man sieht alles. Unser provisorischer guide war ein Oesterreicher, der seit mehreren Jahren als Guru in Indien lebt und den wir in unserem Hotel trafen, wo er seinen Opa mit ayurvedischer Medizin von einem Schambeinbruch zu kurieren versuchte, den er sich bei seinem elften Indienurlaub bei einem Sturz zugezogen hatte. Waere der Guru nicht ganz so wild im Gesicht bemalt gewesen, waere die Geschichte weniger absurd und ich haette ausserdem nicht nonstop darueber nachdenken muessen, dass Aschermittwoch ist. Egal, ansatzweise haben wir die Verbrennungsgeschichte nun verstanden.

Eigentlich suchen wir zum Ende der Reise mehr Entspannung als Aufregung, daher ging es schnell weiter in die Berge. Ueber das Transportwesen in Indien habe ich mich ueberhaupt noch nicht gebuehrend ausgelassen, dabei ist es doch ganz grosser Sport! Teil 1: Bahnfahren (nachts), Varanasi-Delhi, Liegewagen unklimatisiert, 14 Stunden. Zuerst unterschreiben wir bei einem Polizisten, dass wir auf unserem Gepaeck schlafen und von niemandem Essen oder Trinken kaufen werden, weil wir naemlich sonst vergiftet werden. Aha. Ich stelle fest, dass meine Fensterscheibe leider nicht vorhanden ist und kleide mich im Zwiebelsystem. Nachdem sich alle Kinder beruhigt haben, falle ich in leichten Schlaf. Ich erwache im Halbstundentakt, da das Zwiebelsystem unwirksam ist und ich zittere. Gegen 4:30 hat ein Mitreisender Lust, mal ein bisschen Musik zu hoeren. Leider hat er seine Kopfhoerer vergessen und ich habe meine gerade an eine Estin verschenkte. Ich hopse in meinem Schlafsack zu ihm rueber und frage ihn, ob es ihm sehr viel ausmachen wuerde, die anderen 80 schlafenden Waggoninsassen mit Justin Bieber zu verschonen. Seine Antwort: “What is the problem?” Eine Viertelstunde spaeter betritt der Teeverkaeufer die Buehne, der mit angenehmer Bassstimme “Chaaaaai, chaichaichaichaaaaaai!” durch den Wagen bruellt. Kein Wunder, seine Kunden muessen ja erst geweckt werden, bevor sie konsumieren koennen, da muss man was lauter werden. Dass wir seinen Tee nicht trinken duerfen, weil wir sonst sterben, weiss er nicht. Es folgt ein blinder Saenger (in jedem Zug gibt es genau einen blinden Saenger). Die Sonne geht auf, ich friere weniger. Frisch und ausgeruht, nach Blumen duftend, verlasse ich den nur um zwei Stunden verspaeteten Zug. Teil 2: Busfahren (nachts), Delhi-Dharamsala, Sitzplatz unklimatisiert, elf Stunden. Darueber moechte ich nicht sprechen.

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Liebe Tante Gertrud,

Viele Gruesse von den Andamanen schickt dir Anni. Hier ist es sehr schoen. Jeden Tag scheint die Sonne und das Meer ist warm, zumindest an der Oberflaeche. Das Essen ist auch sehr gut, am liebsten esse ich Donuts mit Nutella. Leider habe ich keine Zeit die Sehenswuerdigkeiten zu besichtigen, weil ich mein letztes Taschengeld ausgebe, um mir die Fische von unten anzuschauen. Mein Tauchlehrer hat gesagt, wenn ich eine Boje hinter mir herziehe und ein paar Unterwasserfotos mache, darf ich auch richtig tief tauchen. Habe ich gemacht, und weisst du, was es da unten gibt? Mantarochen! Leider ist es auf 30 Metern richtig kalt, so 30 Grad, deswegen muss ich jetzt immer zwei Tauchanzuege uebereinander anziehen. Weil ich nicht so viel Zeit an Land habe, kann ich nur Donuts essen und ein Hundebaby entwurmen und in der Haengematte liegen und Quatsch reden. Masu sagt, dass ich niemandem verraten darf, wie toll die Andamanen sind, weil dann ganz viele Touristen kommen und es dann nicht mehr so schoen ist, bitte erzaehl es also keinem weiter. Oder, wie wir im Buero sagen: Mach ma Kopp zu! Ich hoffe, es geht dir auch gut. Bis bald, deine Anni

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Man kommt nicht um sie drumrum in diesen bewegten Zeiten: die Demokratie. Die arabischen Voelker haetten sie gerne, Belgien braucht sie irgendwie nicht so wirklich und Italien nuetzt sie nicht viel. Selbst in der BRD wird geschludert, der Verteidigungsminister vergisst in seiner Diss die Fussnoten, mein Lieblings-EU-Parlamentarier Honorarzahlungen in seiner Steuererklaerung, kann ja alles mal passieren! Wer ist eigentlich die Nummer Eins unter den Demokratien? The Economist sagt, das sei Norwegen. Aha. Da laeuft’s ja meistens besser als woanders, keine grosse Ueberraschung. Und welches ist die groesste? Muss man jetzt auch nicht lange rumraten, China kann’s nicht sein, dann ist es wohl Indien. Ich musste mir erstmal gehoerig auf die Zunge beissen, wenn hier die groesste funktionierende Demokratie der Welt propagiert wird – wie kann man behaupten, eine Demokratie funktioniere, wenn ein Grossteil der Bevoelkerung ueberhaupt nicht die Grundvoraussetzungen dazu hat, daran teilzunehmen? Freie und geheime Wahlen stellen Analphabeten vor enorme praktische Probleme; Zugang zu Informationen ist keine Selbstverstaendlichkeit, wenn man auf dem Buergersteig wohnt; und wer profitiert denn tatsaechlich von den gesellschaftlichen Veraenderungen, fuer die wir die Unannehmlichkeiten der Demokratie ueberhaupt auf uns nehmen?

Dank des ersten Regens, den ich in Indien erleben durfte, landete ich in einem – huch!- Museum. Gandhi. Und ueberhaupt die gesamte indische Unabhaengigkeitsgeschichte bis 1948, und als ich so vor diesen ganzen Tafeln stand, ging mir auf, dass es nicht um die perfekte Demokratie geht, sondern darum, dass es ueberhaupt eine gibt. Und das ist, nach Jahrhunderten der Fremdherrschaft, in einem sprachlich und religioes vielfaeltigen Land mit einer schier unglaublichen Anzahl von Menschen doch wirklich ein Wunder! Und natuerlich, dass ein kleiner, duenner Mann in Holzsandalen einen grossen Anteil daran hat.

In Pondicherry gibt es neben Croissants und Polizisten mit roten Hueten einen sehr beruehmten Ashram. Sri Aurobindo, ebenfalls Unabhaengigkeitskaempfer, fand seinen spirituellen Zwilling in einer Franzoesin, die man “die Mutter” nennt, und praktizierte mit Leidenschaft integrales Yoga. Was das nun genau ist, konnte auch mein Besuch des Ashrams nicht klaeren, trotzdem gewann ich interessante Einblicke in den Totenkult. Die beiden Gurus sind naemlich beide oeffentlichkeitswirksam im Innenhof des Ashrams bestattet, wo sich dann die Besucher je nach Beduerfnis drauf werfen und beten koennen. Mir war nur nach Zugucken, da wurde ich allerdings darauf hingewiesen, dass mein Koerper sich nicht im korrekten Winkel zum Grab befand, also bitte! Der Rueffel trieb mich in das Informationszentrum, wo ich mich aufgrund der Touristendichte nicht in der Lage sah, mich ausfuehrlich in das Thema transzendentales supramediales integrales Yoga einzulesen, dafuer aber folgenden Satz aufschnappte (kein Zitat, keine Fussnote, is klar, oder?): Das schlimmste Verbrechen, das man Kindern antun koenne, sei, sie in der Obhut von Dienern zu lassen, da diese von vulgaerem Wesen seien und dies unbeabsichtigt auf die Kinder uebertragen wuerden. Danke, auf Wiedersehen.

Das hier ist fuer alle Muetter:

Zweiter Versuch: Auroville. Ein Projekt, eine universelle Stadt, eine Utopie. Alles, was Touristen zu sehen bekommen, ist das spirituelle Zentrum der (noch zu bauenden) Stadt, eine Art goldener Riesengolfball, in dem man angeblich lernen kann, sich zusammen mit einem grossen Kristall zu konzentrieren. Angeblich funktioniert das Konstrukt ganz wunderbar, angeblich sind alle happy. Ich weiss es nicht, aber ich wuerde es gerne wissen. Oder zumindest glauben, dass es wahr ist.

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Der Doktor und das liebe Vieh

Vor der Reise habe ich angenommen, dass eines der Ziele darin besteht, dem Tod regelmaessig von der Schippe zu springen. Mein Medikamentenkoffer ist in Groesse und Ausstattung ziemlich beeindruckend und durchaus auch nuetzlich. Mit den Spritzen kann man prima Katzenbabies fuettern und mit Pflastern Moskitonetze reparieren. Zum Glueck und leider reichen meine Krankheiten aber nicht aus, um das Tablettenarsenal wenigstens ansatzweise zu dezimieren: “loose motions”, wie die Inder so schoen sagen, oder grippaler Infekt der oberen Atemwege, sonst bin ich immer pumperlgsund. Ich verkuehlte oder verwaermte oder versmogte mich also in den fensterlosen Bussen in Kerala, mein mitgebrachtes Breitbandantibiotikum erschien mir fuer diesen Fall leicht uebertrieben, dann doch lieber leiden. Meine Herbergsmutter entschied aber, dass ein Gang zum Arzt angemessen sei, und sobald das Wort “Ayurveda” ihren Mund verlassen hatte, war ich Feuer und Flamme fuer diese grandiose Idee. Ayurveda, das ist doch das, wo man in flauschigen weissen Bademaenteln auf Teakholzmoebeln gebettet wird und dann ein warmer Strahl Kraeuteroel sanft ueber die Stirn… mein Kopf war eine einzige 5-Sterne-Wellness-Broschuere. Ja bitte, einmal Ayurveda fuer die oberen Atemwege. Der behandelnde Arzt schien auf jahrhundertelange Erfahrung zurueckzublicken, hatte sichtbar noch drei Zaehne, rauchte filterlose Zigaretten (gutes Zeichen, da kennt er sich ja mit obstruktiver Bronchitis, Sinusitis, Paradontitis bestens aus) und hatte in seinem Wartezimmer den Fernseher auf 180 Dezibel gestellt, damit auch ich mit meinen verstopften Ohren dem WM-Cricketspiel problemlos folgen konnte. Die Behandlung erfolgte durch seine Ehefrau – ein unglaublicher Gluecksfall, wie sich sofort herausstellen sollte – in einem angenehm durchluefteten Raum mit zwei Tischen, beide mit einer Art Linoleum bezogen. Frau Doktor verlangte Komplettentkleidung. Misstrauisch aeugte ich durch das weit geoeffnete Erdgeschossfenster auf die spielenden Kinder, schloss dann aber infantile Erblindung durch den Anblick eines Europaeerpos aus und machte es mir auf einem der Tische unbequem. Die Frau hatte ganz klar noch nie einen Prospekt ueber ayurvedische Massage gesehen, die kannte sich gar nicht aus! Statt angewaermtes Kraeuteroel langsam ueber meine Stirn laufen zu lassen, kippte sie ungefaehr zehn Liter ueber mir aus und begann damit, die Suppe von mir auf den Tisch zu flitschen. Fehlende Gruendlichkeit konnte man ihr nicht vorwerfen, hoechstens einen Denkfehler bei der Reihenfolge: nach Salbung der staubigen Fuesse kam der Kopf dran. Es verlangte mir einiges an Konzentration ab, mich angemessen zu entspannen, waehrend Helga energisch Koerperteile flitschte, die normalerweise nicht kommerziell angefasst werden. Die Oelumverteilung im Raum und meine unkontrollierbar glitschenden Gliedmasse verleiteten mich ausserdem zu der Vision, wie ich lautlos als Sardine vom Tisch gleite und ins Wartezimmer floate, wo mich der Doktor mit leisem Gloeckchenklingeln aus der Schwerelosigkeit und in die ewige Gesundheit holt. Quatsch, nach 45 Minuten war “Finish!”, Shivaseidank eine Dusche und ab zur Bezahlung. Waehrend ich auf meinen 1-Euro-Ayurveda-Hustensaft wartete, smalltalkte ich mit den naechsten Patienten: “Und ihr so, auch zur Ganzkoerpermassage?” “Noe, wir lassen uns nur ein bisschen Oel ueber die Stirn laufen.” Pffft, Ketzer, Warmduscher, Touristen! Ayurveda ist kein Wellness, Ayurveda ist Medizin. Yoga ist kein Sport, Yoga ist eine Philosophie. Und der Tempel von Madurai ist ein Supermarkt. Verrueckte Welt!

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Bleibt alles anders

Ueber Indien habe ich mich vorher mit sehr vielen Leuten unterhalten, mit entsprechend vielen Bildern, Erwartungen und Respekt bin ich angekommen, und nun ist es Zeit, auf die erste Halbzeit Deutschland-Indien zurueckzublicken. Es ist sehr schwierig, es zu beschreiben, weil eben wirklich alles anders ist. Es ist schleichend ueberwaeltigend. Es ist nicht das Gefuehl, das einen schwer atmen laesst, wenn man im Grand Canyon steht oder eine BBC Reportage ueber die Antarktis sieht oder Cathy Freeman auf dem Marine Drive in Mumbai trifft. Es ist der Fluss, der staendige Wandel, das “nichts ist so wie es scheint”. Mulholland Drive in Endlosschleife. Es ist immer voll, immer heiss, immer dreckig. Und im naechsten Moment ist es immer das Gegenteil. Ich sehe das schoenste und das haesslichste in einer Minute. Im Tempel beten Menschen mit einer Hingabe, die mir in diesem Wust aus Farben, Geschrei, Essens-, Fuss- und Raeucherstaebchengeruechen voellig unmoeglich erscheint. Im groessten Strassendreck sind die Saris am buntesten und die Fusskettchen am melodischsten. Die Inder ruehren mich zu Traenen, weil sie die hilfsbereitesten Menschen der Welt sind, die Inder treiben mich zur Weissglut, weil sie die unfreundlichsten Menschen der Welt sind, die Inder bringen mich zum Lachen, weil sie die komischsten Menschen der Welt sind. Und alle scheinen in der Mitte, im Zen, im guten Karma oder sonstwo zu schweben, waehrend ich in meiner inneren Gummizelle von einer Wand zur anderen geschleudert werde. Sobald ich glaube, ein System im Chaos entdeckt zu haben, kommt ein Inder mit Hammer und Sichel um die Ecke und haut mein Weltbild mit einem froehlichen Kopfwackler wieder kaputt.

Wir haben mit Vikram in Hospet Cricket gelernt (in Theorie und Praxis), mit Beena Elefanten mit ueberdimensionierten Knallkoerpern aus ihrem organischen Bananengarten vertrieben, mit Sib in Bangalore unsere Bowlingkarriere gestartet, mit Borat (rein aeusserliche Aehnlichkeit) in Wayanad “Jede Zelle meines Koerpers ist gluecklich” gesungen, mit Klaus in lila Batikhosen einem rituellen Trance-Fest in Kannur beigewohnt, und tausendfach auf die wichtigste Frage ueberhaupt geantwortet:

“What is the name of your country?” – “Ulf.” – “?” – “Nee, Quatsch, Germany.” – “ Aaaah, Steffi Graf.” – “Oh yes, good old Steffi.” – “And Hitler.” – “Aeh, yes, irgendwie aber auch nicht so ganz, difficult story, aber in the end dann doch yes.” Adolf scheint hier einen einigermassen wertfreien Platz in der Weltgeschichte eingenommen zu haben, zumindest wird der Transfer Hitler = Nazi ergo alle Deutschen = Nazis nicht geleistet. Nachdem man dann einen ganzen, perfekten Tag mit fantastischen Menschen verbracht hat, will man ihn natuerlich mit Karamellpopcorn und Blaubeereis im Kino beenden. Einwortsatztaschenkontrolle am Eingang, die mich auf die Palme bringt:

“Bag!”

“Yes, this is my bag.”

“Open!”

“Sure, would you like me to open my bag? No problem, come and see my shop!”

“Camera!”

“Correct, this is a camera, I am carrying it around to record Hindi films so that I can sell them back in Germany.”

“Go!”

“Thank you, it was lovely meeting you too. Have a nice evening without any Karamellpopcorn or Blaubeereis!”

Am naechsten Tag werde ich im Wasserfall baden, 13 Stunden ohne Stossdaempfer Bus fahren, getrocknete Kokosnuesse geschenkt kriegen und mit Maeusen in einem Hausboot uebernachten. Es ist alles wunderbar, ein bisschen magisch und ein bisschen zu viel. Und, unerwarteter Weise, gibt es dann doch eine logische Konsequenz aus der Unlogik: Ich habe Halsschmerzen bei 35 Grad.

P.S.: Frau Reich-Ranicki kraechzt leise eine Buchempfehlung: Aravind Adiga, Der Weisse Tiger.

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Ohrentag

Eines Tages am Strand sprach Masu ein netter junger Mann an, dass er da etwas am Ohr habe. Masu, von soviel Aufmerksamkeit ueberrumpelt, bedankte sich und hatte sofort einen Stiel im Ohr, denn der junge Mann hatte festgestellt, dass da ein groesseres Problem vorlag. Schicksalsergeben setzte Masu sich und hoerte zu, wie mit lauten Jubelrufen immer neue Objekte aus seinen Ohren willkommen gehiessen wurden: Schmand (Entschuldigung), Sand, Steine. Ich kicherte aus einiger Entfernung schadenfreudigst, allerdings nur so lange, bis ich selber einen Ohrenputzer an der Backe hatte, der sich zunaechst mit Referenzfotos bruestete und dann sachkundig mit Blick nach oben feststellte: “Inside ok, outside dirty!” Meine hoeflichen Ablehnungen nutzten nichts, er hatte sich bereits in meinem Ohr verbissen, woraufhin die Situation eskalierte… Masu trommelte hysterisch mit den Fuessen und jammerte “be careful, I had an ear surgery”, was sein Putzer gekonnt ignorierte und mir stattdessen versuchte, seinen Ohrendreck schmackhaft zu machen: “Looklook Madam, all this dirty!” Ich konnte mich aber nicht konzentrieren, weil an meinem Ohr weiterhin ein Inder hing, der sich nicht abschuetteln liess, bis es laut und deutlich wurde: “Fass! Meine! Ohren! Nicht! An!” Da hatte ich dann Zeit, mich ausgiebig zu ekeln, waehrend der Preis entsprechend des Upgrades von einer einfachen Ohrensaeuberung auf ein Ohrenspa samt Oelbehandlung ins Unermessliche stieg. Masu murmelte fuer den Rest des Tages vertoert vor sich hin: “Ich hatte Steine im Ohr. STEINE im Ohr…”

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I’m in Goa, bitch!

Goa ist speziell. Meine erste Assoziation war “Hilfe! Kuta reloaded‘, stimmt aber nicht, hier sind gar keine Australier. Die Spezie des Goaurlaubers ist schwer zu definieren, es bewegt sich zwischen wenig froehlich gestimmten russischen Pauschaltouristen und unterernaehrten Dauerhippies mit glasigem Blick. Dazu kommen natuerlich die indischen Kurzurlauber, denen es ueberhaupt nichts ausmacht, zu Zehntausenden auf Muellbergen zu sitzen und den Sproesslingen beim Bananariding im trueben Wasser zuzuschauen. Morgens beim Muesli-Fruehstueck sitze ich gemuetlich auf der Strandterrasse eines Cafes, waehrend unten ein aelterer Herr mit Geschirrtuch auf dem Kopf und Leopardenstring um die Hueften am Wasser entlangjoggt. Guten Morgen! Ich schaffe es leider nicht, den Sommersonnestrand-Filter anzuschalten und meinen ausgeleierten Bikini auszufuehren, da kriege ich nicht nur Sonnenbrand von, sondern auch ein schlechtes Gefuehl. Indische Frauen in Saris sind einfach tausendmal schoener und wuerdevoller als weiss-pinke Popos in zu kleinen Hosen, und wenn die dann noch auf penetrante Verkaufsversuche mit “go away” reagieren, kriege ich Wuergereiz. Was wirklich Spass macht, ist Mopedfahren. Mit unwesentlicher Verspaetung habe ich meinen Rollerfuehrerschein gemacht, und es ist tatsaechlich nicht schwerer als Fahrradfahren. Mein Beifahrer war anscheinend maessig entspannt, denn kurz darauf beschloss er, dass er nun auch Motorradfahren kann und seitdem ist es mit Rollerfahren vorbei, wir gehoeren zur cool crowd. Abends wird ja in Goa angeblich sehr wild gefeiert, so mit kuenstlich erzeugten psychedelischen Farben und so. Wir haben es wirklich versucht, nur sind die Parties so gut versteckt, dass man eigentlich nur Menschen auf dem Weg trifft, die orientierungslos auf ihren Rollern ueber Feldwege hoppeln und dabei versuchen, souveraen auszusehen. Vielleicht hilft bei der Suche auch Drogenkonsum, der recht wahllos angepriesen wird. Eine etwa siebzigjaehrige britische Lady zum Haendler: “Thank you very much, we don’t smoke that stuff.” Fazit: Grandioses Pflaster fuer soziologische Studien, die schoensten Straende gibt’s woanders.

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Es gibt in Indien einen Ort, da gibt es keine Autos. Nach einiger Zeit in einer Stadt, in der die Sonne nicht im Meer versinkt, sondern irgendwie… verdampft, wo man sich den Inhalt des Taschentuchs nicht genauer ansehen sollte und in den Zeitungen steht “Die Teilnahme am morgigen Marathon sollte nicht die erste sportliche Betaetigung ihres Lebens sein.” (Brueller!), ist so ein Ort ein mehr als attraktives Reiseziel. Hach, war das schoen! Matheran. Ruhe, Bergluft, Tee und ein 1000-Teile-Pferdepuzzle (waren wir aber zu bloed zu). Hatte ich mir aber auch verdient! Vorher verbrachte ich gefuehlte drei Tage bei einem Mobilfunkanbieter, der SIM-Karten verkauft nach Angabe von Adresse, Geburtsgewicht und Ommas Schuhgroesse, der dann anfaengt, im Minutentakt lustige Bollywoodquizzes auf mein Handy zu veschicken und anschliessend die Karte zweimal wieder sperrt, weil – angeblich – die drei abgegebenen Passfotos nicht den aktuellen indischen Antiterrorbestimmungen entsprechen. Der Stimmungslage im Geschaeft nach zu urteilen scheint das aber kein Touristenproblem zu sein, sondern ein Rundumschlag der indischen Regierung. Fuehlt man sich gleich besser, als einer von einer Milliarde Betroffener. Nach Nichtklaerung des Problems konnte aber immer noch nicht in die Sommerfrische gereist werden, weil man da naemlich nur hin darf, wenn man vorher bezahlt. Dafuer bekam ich eine Adresse genannt, ganz indisch siebenzeilig (Strasse und Hausnummer, Hauptverkehrsader, Gebaeudename, Stockwerk, naechste geografische Referenz, Stadtteil, Postleitzahl, Stadt), suchte in Kooperation mit dem Taxifahrer und der ortskundigen Nachbarschaft eine Stunde lang the place to be, ueberreichte dem Vater von Bekannten des Schwagers nach Smalltalk die Kohle und erhielt umgehend eine Email mit weiteren Instruktionen. Da war ich schon so fertig, dass ich nach laeppischen 10 Minuten Schlangestehen am Bahnhof den naechsten Taxifahrer gluecklich machte, einmal drei Stunden bis Matheran, bitte. Seine Freude erlosch, als er realisierte, dass Matheran auf einem Berg liegt. Der Arme war kurz vorm Hyperventilieren. Serpentinen und dann noch dieser ganze Sauerstoff! Ich hoffe wirklich, er hat den Weg im Dunkeln zurueck nach Smogland unbeschadet gefunden. Und dann waren wir fast schon da, nur noch kurz eine Stunde die Rucksaecke von den Traegern im Stockdunkeln auf den Eisenbahnschienen bis zur Residenz schleppen lassen. Der Reisegefaehrte latscht als bekennender Schlangenphobiker mal wieder fast auf eine drauf. Ich zum Traeger: “Is it dangerous?” “Yes, very dangerous.” “Hm. Do you have tigers up here?” “Yes, many tigers. And leopards.” Jau, und auch Pferde. Und Handrikschas. Wie unser allerliebster Reisefuehrer sehr richtig bemerkte, ist es erstaunlich, dass niemand bisher eine Verbindung zwischen Zugtier und Karren gesehen hat, aber gut. “I am Lucky, and this is my horse.”

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Noch ein Reisetipp

Manch Reisender realisiert, dass der Sack auf dem Ruecken im Laufe der Zeit nicht leichter wird, weil man erst nach Aufbruch bemerkt, dass einem ueberlebenswichtige Dinge fehlen. Z.B. ein elektronisches Drumset. Da muss man kompensativ Sachen loswerden, entweder verschenken oder nach Hause schicken. Das Verschicken ist je nach Aufenthaltsort mehr oder weniger billig, Indien ist billig, aber chaotisch, daher hier die Anleitung zum Paeckchenversand.

  1. Man wird vor der Posttuer von einem Mann abgefangen, der sich als Paeckchenbeauftragter vorstellt und den Weg zum richtigen Schalter weist.
  2. Die zu verschickenden Sachen werden auf einer Waage gestapelt, die dann den korrekten Preis ausspuckt.
  3. Der Paeckchenbeauftragte erklaert einem zeichensprachlich, dass man ihm zu folgen hat.
  4. Man wird auf eine Verkehrsinsel vor der Post gefuehrt, wo man verzweifelt zu erklaeren versucht, dass man eine Versandkiste benoetigt.
  5. Der Paeckchenbeauftragte sagt, dass man bitte 20 Minuten warten soll.
  6. Man verliert die Geduld, speist ihn mit einem kleineren Geldbetrag ab und fluechtet zurueck in das schuetzende Postgebaeude.
  7. Der zweite Paeckchenbeauftragte betritt die Buehne und bringt Licht ins Dunkel: Versand drinnen, Verpackung draussen.
  8. Man fuellt ein Formular aus.
  9. Man kehrt zurueck auf die Verkehrsinsel und uebergibt die Sachen dem Verpacker.
  10. Man kopiert das Formular in einem nahegelegenen Kopierladen zweimal.
  11. Man kehrt zurueck zur Verkehrsinsel und stellt fest, dass es keine Versandkisten gibt, sondern dass die Klamotten in Stoff eingenaeht wurden.
  12. Man schreibt die Empfaengeradresse auf den Stoffbeutel.
  13. Man begibt sich abermals zum Postschalter und praesentiert den Stoffhaufen, muss aber noch mit Kugelschreiber den einen oder anderen Hinweis hinzufuegen. Buchstabendreher sind dabei ausdruecklich erwuenscht, es heisst unter allen Umstaenden “Regitrastion”. Airmail darf man normal schreiben.
  14. Man zahlt. Und betet.

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