Vor der Reise habe ich angenommen, dass eines der Ziele darin besteht, dem Tod regelmaessig von der Schippe zu springen. Mein Medikamentenkoffer ist in Groesse und Ausstattung ziemlich beeindruckend und durchaus auch nuetzlich. Mit den Spritzen kann man prima Katzenbabies fuettern und mit Pflastern Moskitonetze reparieren. Zum Glueck und leider reichen meine Krankheiten aber nicht aus, um das Tablettenarsenal wenigstens ansatzweise zu dezimieren: “loose motions”, wie die Inder so schoen sagen, oder grippaler Infekt der oberen Atemwege, sonst bin ich immer pumperlgsund. Ich verkuehlte oder verwaermte oder versmogte mich also in den fensterlosen Bussen in Kerala, mein mitgebrachtes Breitbandantibiotikum erschien mir fuer diesen Fall leicht uebertrieben, dann doch lieber leiden. Meine Herbergsmutter entschied aber, dass ein Gang zum Arzt angemessen sei, und sobald das Wort “Ayurveda” ihren Mund verlassen hatte, war ich Feuer und Flamme fuer diese grandiose Idee. Ayurveda, das ist doch das, wo man in flauschigen weissen Bademaenteln auf Teakholzmoebeln gebettet wird und dann ein warmer Strahl Kraeuteroel sanft ueber die Stirn… mein Kopf war eine einzige 5-Sterne-Wellness-Broschuere. Ja bitte, einmal Ayurveda fuer die oberen Atemwege. Der behandelnde Arzt schien auf jahrhundertelange Erfahrung zurueckzublicken, hatte sichtbar noch drei Zaehne, rauchte filterlose Zigaretten (gutes Zeichen, da kennt er sich ja mit obstruktiver Bronchitis, Sinusitis, Paradontitis bestens aus) und hatte in seinem Wartezimmer den Fernseher auf 180 Dezibel gestellt, damit auch ich mit meinen verstopften Ohren dem WM-Cricketspiel problemlos folgen konnte. Die Behandlung erfolgte durch seine Ehefrau – ein unglaublicher Gluecksfall, wie sich sofort herausstellen sollte – in einem angenehm durchluefteten Raum mit zwei Tischen, beide mit einer Art Linoleum bezogen. Frau Doktor verlangte Komplettentkleidung. Misstrauisch aeugte ich durch das weit geoeffnete Erdgeschossfenster auf die spielenden Kinder, schloss dann aber infantile Erblindung durch den Anblick eines Europaeerpos aus und machte es mir auf einem der Tische unbequem. Die Frau hatte ganz klar noch nie einen Prospekt ueber ayurvedische Massage gesehen, die kannte sich gar nicht aus! Statt angewaermtes Kraeuteroel langsam ueber meine Stirn laufen zu lassen, kippte sie ungefaehr zehn Liter ueber mir aus und begann damit, die Suppe von mir auf den Tisch zu flitschen. Fehlende Gruendlichkeit konnte man ihr nicht vorwerfen, hoechstens einen Denkfehler bei der Reihenfolge: nach Salbung der staubigen Fuesse kam der Kopf dran. Es verlangte mir einiges an Konzentration ab, mich angemessen zu entspannen, waehrend Helga energisch Koerperteile flitschte, die normalerweise nicht kommerziell angefasst werden. Die Oelumverteilung im Raum und meine unkontrollierbar glitschenden Gliedmasse verleiteten mich ausserdem zu der Vision, wie ich lautlos als Sardine vom Tisch gleite und ins Wartezimmer floate, wo mich der Doktor mit leisem Gloeckchenklingeln aus der Schwerelosigkeit und in die ewige Gesundheit holt. Quatsch, nach 45 Minuten war “Finish!”, Shivaseidank eine Dusche und ab zur Bezahlung. Waehrend ich auf meinen 1-Euro-Ayurveda-Hustensaft wartete, smalltalkte ich mit den naechsten Patienten: “Und ihr so, auch zur Ganzkoerpermassage?” “Noe, wir lassen uns nur ein bisschen Oel ueber die Stirn laufen.” Pffft, Ketzer, Warmduscher, Touristen! Ayurveda ist kein Wellness, Ayurveda ist Medizin. Yoga ist kein Sport, Yoga ist eine Philosophie. Und der Tempel von Madurai ist ein Supermarkt. Verrueckte Welt!
happy finish? 🙂
wackelwackelwackel
Hat alles seine Richtigkeit – sagt jedensfalls meine Leib- und Magen-Therapeutin Danny E. und lacht sich halb schlapp. Ich hoffe, der Husten is weg!
Wer auch immer Danny E. ist, ich hoffe, sie ist kompetent. Husten ist fast weg, das Antibiotikum war abgelaufen und wollte einen letzten Dienst erweisen. Hoch lebe die Schulmedizin!